Lazër Radi – Gedichte (1916 – 1998)
perktheu Hans-Joachim Lanksch
Der Schriftsteller, Übersetzer, Publizist und Moralist Lazër Radi, nach einem Leben der Demütigungen und der Demut gestorben, stand stets im Schatten derer, die sich im Glanz des Ruhms sonnten und sonnen. Er gehörte nicht zum Kreis der Privilegierten, der Vorsitzenden, der Sekretäre und ihrer Favoriten. Er hielt sich fern von Konjunkturen und Kompromissen. Er war kein Angepaßter, der sein Gewissen nach den Losungen der Tagespolitik zurechtbog. Er gehörte zu dem vor allem im Ausland immer noch nicht gebührend gewürdigten Kreis albanischer Intellektueller, die gerade in der Zeit der Diktatur eine moralische Institution darstellten. Daß er sich die Freiheit des Geistes und seine persönliche Würde bewahrte, bezahlte er mit vierzig Jahren Unfreiheit unter menschenunwürdigen Umständen.
In der Widmung eines seiner Bücher, das er mir schenkte, schrieb er von der “Literatur der Leiden in einer Welt, die nicht weiß, was Gewalt und Diktatur ist.” Er war einer von denen, die Zeugnis ablegten von diesen Leiden, ungeschminkt und unverstellt. Es gilt, dieses authentische Zeugnis wahrzunehmen und in Ehren zu halten. So würdevoll und wahrhaftig, wie Lazër Radi gelebt hat, ist auch seine Dichtung. Ohne Pomp, ohne Pathos, ohne Dekor und Dekorationen. Kein überflüssiges Wort, keine Pose. Mit ihren klaren, einfachen und dadurch gleichermaßen ergreifenden und poetischen Bildern, ihrer Balance von Herz und Verstand, Inhalt und Form, stellen seine Gedichte die geschwätzigen Ergüsse von Hofpoeten der Diktatur weit in den Schatten. Lux aeterna luceat eo!
Lazër Radi – Gedichte
Hans – Joachim Lanksch – Übersetzung
Der Reiter des Lebens
Auf Windflügeln
begann er zu fliegen,
erweckte die Gärten des Lebens,
entzündete das Dunkel mit Pferdehufen,
und die Erde vernahm das Lied der Blumen
und die Tiere verschwanden auf den Wiesen
und die Vögel kehrten zurück zu den Nestern
und die Segel weiteten den Atem des Windes.
Der Reiter des Lebens,
Der Reiter des Lebens,
er stürmte in den Himmel
auf dem Pferd der Hoffnung.
Die Mauern der Dämmerung
Morgentau in der Faust
Strahlenflammen im Herzen
durchbrach ich die Mauer der Dämmerung!
Dort, neben dem Hügel,
geschützt vor anstürmender Angst
warte ich zeitenlang
und weiß nicht:
muß ich zuerst zur Welt kommen
oder sterben…
Burrel, 1952
Ein Leichnam
Die Augen
zwei Steine ausgehöhlt von langem Schweigen
Die Augenbrauen
Seetang von der Woge ans Ufer gespült
Der Mund
eine verbrannte Höhle, die niemand verlässt
Das Wort
ein Kettenglied auf ewig in Ketten gelegt
Das Haar
eine verbrannte Wiese lauer Wünsche
Der Körper
ein Fluß der fließt und nirgends ankommt…
allein das erloschene Gesicht
einem bleichen Schatten gleich
stolz erhoben
angesichts sengender Sonne.
In dein Schweigen
In dein zaubrisches Schweigen
meiner Stimme unerreichbar
wollte ich eintreten mit dem Rauschen des Windes
und dein Herz erobern im Flug
wollte den schlaftrunkenen Traum nicht wecken
wollte die Morgendämmerungen nicht betrüben
die durch deine Blicke ziehen.
In diesem Sternenschweigen ohne Ende
raubte ich
einen Kuß süsser als aller Herbst
und verschwand spurlos.
Im Schweigen wird alles Gesagt
Inmitten trunkener Lichter
schwindelt meinem Geist,
in verlorener Nacht
füllte ich mich randvoll
mit leerem Himmel.
Doch… ich verfalle nicht der Verzweiflung,
denn mein Geist vermag
auch Lichtern und Sternen und Funken zu folgen.
Dem Leben trachtet er einen Sinn zu geben
auch im Schweigen
in dem kein Wort gesprochen
doch alles gesagt wird!
Savër, 1984
Lazër Radi (1916 – 1998)
1916 in Prizren/Kosova geboren. Ab 1929 in Albanien. 1938-42 Jura-Studium in Rom, Promotion. In Albanien bis 1944 Arbeit als Rechtsanwalt und Publizist. Zehn Jahre als politischer Häftling im Gefängnis. Danach dreissig (30) Jahre an verschiedenen Verbannungsorten in Albanien. Erst nach 1990 Rückkehr nach Tirana. Schrieb über zehn Bücher, zahlreiche Artikel und Aufsätze, Übersetzungen aus mehreren Fremdsprachen (u.a. Plato). Hans-Joachim Lanksch